Mittwoch, Dezember 4

Der Bandcamp-Hardcore Vol.20


Guts & Guns:

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Was passiert wohl, wenn man das wüste Geschredder des ehemaligen Trios Koexistenz um eine Bassistin, die ihr Instrument am liebsten tief gestimmt und schleppend voran trägt, und einer tobsüchtigen Frontfrau ergänzt? Um es mal vorsichtig auszudrücken, keine Musik für Weicheier. Ein brachial hemmungsloser Mix aus Crust, Sludge, Punk und Stoner, den der Opener "Feed My Rage" ihres Debüts "The Pig Rug Collection" nicht nur namentlich ganz gut auf den Punkt bringt. Wilde Gitarren treffen auf brummende Basslines und Metalriffs, aus denen heraus manchmal sogar einige treibende Punkmelodien entstehen. Über all dem erhaben kotzt sich Sängerin Karin am Mikro die Seele aus dem Leib und lässt selbst einen Mark Greenway nicht nur in biologischer Hinsicht alt aussehen. Eingefangen wurde dieses fett groovende und scheppernde Klangmonstrum in den schalldichten Mauern der Oldenburger Tonmeisterei. Somit dürfte jeden klar sein, was ihn erwarten, wenn er sich mit Guts & Guns einlässt. Ein Gemetzel der Extraklasse!


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Coldburn:

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Vier Jahre hat das Leipziger Quintett Coldburn mittlerweile auf dem Buckel, überbrückte die studienfreie Zeit bislang mit einem Demo Tape (2010, Powertrip Records), der Hybris 7" (2011, Worship Records) und zuletzt mit ihrem ersten Longplayer "The Harsch Fangs of Life" (2012, Cobra Records & BDHW Records, Stream HIER). Ihre Geschichten packen sie in düstere und pessimistische Alltagsversionen, die mit vielen Breakdowns und Gemoshe in finstere Abgründe gestampft werden. No Turning Back oder auch Twitching Tongues können als Referenzen herangezogen werden, ohne dass Coldburn dabei wie ein blasser Abklatsch wirken. Im Gegenteil. Ihr Hardcore wirkt frisch und extrem wuchtig und hinterlässt - neben einem flauen Gefühl im Magen - vor allem eine Schneise der Verwüstung. Da können auch die wenigen melodischen Momente nichts mehr retten. Nichts neues, dafür aber unheimlich gutes Auf-die-Fresse.


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I Am Omega:

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Erschreckende Zukunftsvision vs. Hoffnung oder doch Weltuntergang und Hoffnungslosigkeit? Was genau I Am Omega mit ihrem Bandnamen (evtl. in Anlehnung an dem 2007 gedrehten, gleichnamigen Science-Fiction-Horror-Film?) und EP-Titel (es gibt da eine gleichnamige Stiftung, die sich für Klimaschutz und Nachhaltigkeit einsetzt) gegenüberstellen, kann wohl jeder für sich selbst entscheiden. Fakt ist, dass die Zeit rennt und die Menschheit ohne Kompromisse und Veränderungen wohl einer schwarzen Zukunft entgegen blickt. Die fünf Stuttgarter fanden Mitte 2012 zusammen und bekamen Starthilfe von Mahlstrom, FJØRT und Afterlife Kids, mit denen sie vor fünf Monaten ihr erstes Konzert gaben. Im Oktober 2013 folgte dann auch die Debüt-EP "Utopia", die in Eigenregie auch als Tape-Version erschien und gegen einen Spendenbetrag (Minimum 1€ + 1,50 € Versand !!!) erhältlich ist. Bis auf den treibenden Melodic Hardcore im ersten Song, gibt's reichlich düsteren Post-Hardcore auf die Ohren, der in den ausufernden Songs immer wieder in seine moshigen, melodischen und ruhigen Teile zerfällt. Technisch versierte und klug ausgetüftelte Songs, die trotz hörbarem Spaß am Experiment nie zu konstruiert oder überladen wirken, stattdessen den Hörer mit vielen Spannungsbögen bei Laune halten. Ralf Bernhardt, Gitarrist der Mannheimer Doom-Metal-Band Black Shape of Nexus (Freedownload Demo HIER) hat die Songs aufgenommen und abgemischt.




Sickmark:

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Es ist derzeit gar nicht mal so einfach, im deutschen Untergrund den Überblick zu behalten. Gerade erst haben die vier Bielefelder der Powerviolence-Punk-Combo Hyëna ihr erstes Release rausgebracht (Freedownload "Schemes"-LP HIER) und schon kommen die ersten Dumpfbacken mit irgendwelchen Urheberrechtsverletzungen daher. Als im September 2013 auch noch Schlagzeuger Daniel die Band verließ, hieß es entweder aufzuhören oder neu anzufangen. Unter dem neuen Bandnamen Sickmark entschieden sie sich glücklicherweise für letzteres und mit Paul konnte kurze Zeit später auch gleich noch passender Ersatz gefunden werden. Ohne viel Zeit zu verschwenden, wurde dieser sofort in die Pflicht genommen und musste im Vergleich zu seiner hardcore-punkigen Nebenband Vumm (Freedownload Demo HIER) wahre Akkordarbeit leisten, da Sickmark den Geist ihres Alter Egos im Wesentlichen wiederbelebt haben. Ein Fünf-Song-Demo wurde bereits im AJZ Bielefeld eingespielt und von Ruins-Gitarrist Rouven Bienert aufgenommen und abgemischt. Über Colossus Tapes soll im Dezember das Tape erscheinen.



Lion City:

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Der Beitrag zur zweiten EP der vierköpfigen Band aus Stuttgart kommt mit einer mehr als einjährigen Verspätung. Aber besser spät als nie, möchte ich Lion City vor allem denjenigen ans Herz legen, die mit einer Affinität zum 90er-NYHC liebäugeln, als dieser zunehmendst auch den Metal für sich beanspruchte. Lion City existieren bereits seit 2011 und rekrutierten sich aus ehemaligen Heartbreak Ridge und Deem Us False, deren Tough-Guy-Mentalität sie auf "Changes: The Only Constant" nicht vollkommen unterdrücken können. Ist aber auch gar nicht weiter schlimm, denn derartiger Hardcore-Punk muss sich nunmal selbstbewusst, trotzend und rotzig präsentieren. Und in seiner Eingängigkeit, zusammengehalten von melodischen und moshigen Momenten, mitgröltauglichen Schlachtrufen und Crew-Shouts und zudem mit einer altbewährten Thematik im Rücken, dürften sie damit auch eine breite Masse ansprechen. Eingefangen wurde der fette Sound im MinorFatDiner-Studio, wo u. A. auch schon I Like Ambulance, Sailong On und Nervöus zu Gast waren. Derzeit arbeiten die Jungs an ihrem ersten Full-Lenght, dessen Mix anscheinend schon so gut wie fertig sein soll. Na dann mal schauen, ob sie dieses Tempo auch auf Albumlänge halten können.


Buy Digipak & Merch via Mail to: lioncity@gmx.de


Callow:

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Es gibt zwei Gründe, warum man das Bostoner Quintett Callow (mit Mitgliedern von Cerce, Congenital Death und Burglary Years) im Auge behalten sollte: 1.) Ihr Debüt-Release "Disappeare Here" ist ein mehr als nur solider Post-Hardcore-Brocken geworden, der zusätzlich mit Crust-Punk- und Screamo-Elementen äußerst stimmig, fies und energisch in die Tat umgesetzt wurde. 2.) Callow sind die zukünftigen Split-Partner unserer Jungs Jungbluth, deren gemeinsame 7" anfang nächsten Jahres über Contraszt! Records, Middle-Man Records und Hydrogen Man Records erscheinen wird.
Mit ihrer EP haben Callow beim kanadischen Label Zegema Beach Records (bringt demnächst Amber's Debüt-EP auf Vinyl heraus) angeklopft, das sofort begeistert war von der Band, dass es sie nicht nur auf seinen zweiten Label-Sampler unterbrachte, sondern auch die nächste EP der Band veröffentlichen will.


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Gattaca:

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Es benötigt schon einige Zeit, sich durch die komplette Diskografie des tschechischen Quintetts Gattaca zu arbeiten. Auf den Punkt gesprochen, kann man ihre Musik als crustigen Hardcore-Punk der Schnittmenge Madame Germen bezeichnen. Nicht schlecht, aber eben auch nicht neu und zugegebener Maßen nach einiger Zeit Dauerbeschallung auch ziemlich nervenzerrend, trotz einiger treibender Melodien. Abwechslung bringen zumeist die Intro-Songs ihrer Releases mit sich. So mogelt sich zu Beginn ihrer s/t 7" ein Cello hinein und im Intro ihrer gemeinsamen Split mit Axidance ein Ukulele. Die Band ist dem tschechischen Punk-Untergrund entsprungen und ist Zeugnis des dort vorherrschenden frivolen und auch undurchsichtigen Bandhoppings. So finden sich Gattaca's Bandmitglieder auch in Emocore- und Punkbands wie Lakmé, Remek, Marnost, OSAWATOMIE und viele mehr wieder und unterstützen mit ihrer Musik gemeinnützige Institutionen.




The Sin of Lilith:

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Ebenfalls aus der Tschechischen Republik, nämlich aus Orlová, kommen die ebenfalls zu fünft aufgestellten The Sin of Lilith, die sich - ebenfalls - die restliche Zeit in zahlreichen Nebenprojekten wie Tupak Amaru (ja genau, wie die ehemalige Rapper-Ikone), Breakfast Club (wie die ehemaligen Dance-Popper), Rosa Parks und Es Una Mierda vertreiben. Doch statt schonungslosen Hardcore-Punk, entführen uns The Sin of Lilith lieber in die 90er-Jahre, indem sie ihren Screamo-Post-Hardcore-Mix mit einigen plänkelnden Gitarren Richtung Midwest-Emo zerren. Da die Dynamik allerdings im Vordergrund steht, wirken die Songs zu keiner Zeit übertrieben ausufernd. Im Gegenteil. Clever ausgetüftelt, äußerst spannend, frisch und nicht nur für DIY-Verhältnisse unheimlich gut.




We Came From Horror:

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Emo-Metal-Post-Hardcore? Klingt nach einer Band, die danach strebt, es so vielen Hörern wie möglich recht machen zu wollen. Und es klingt nach Überproduktion, nach Altbewährtem und -bekanntem. Kann man alles so abhaken und dennoch komme ich nicht drum rum, euch diese Band wärmstens zu empfehlen. Man kann als Metal- oder Hardcorefan den Metalcore natürlich noch immer als faulen Kompromiss ansehen und damit recht behalten, oder den Emocore für einige Peinlichkeiten verachten. Dennoch brachten auch diese Genres einige wertvolle Vertreter hervor. From Autumn to Ashes beispielsweise, die ich seit dem ersten Hördurchlauf des Debüts "Lost in Misery" der Tschechen We Came From Horror nicht mehr aus meinem Ohr bekomme. Vielleicht auch wegen des ständigen Wechsels von extrem hoch oktavierten Gesang und fiesen Growls. Und wenn man ein dermaßen extrovertiertes Organ wie Lead-Sänger Kuba besitzt, dann ergeben sich die treibenden Melodien praktisch von selbst.  



Oaken Heart:

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Schubladendenker lassen Oaken Heart eiskalt gegen die Wand laufen. Das sagen sie selbst und das hört man auch. Sie spielen die Musik, die ihnen Spaß macht. Und auch das hört man. Allerdings kann man das Leipziger Quintett nicht jedem Hardcorefan uneingeschränkt auf die Playlist zaubern, denn Hardcore ist schließlich nicht gleich Hardcore...??...naja, ihr wisst schon! Postcore, Sludge und Post-Rock sind die tragenden Säulen, manchmal zäh-flüssig wie pech-schwarzer Teer, dann wieder wuchtig treibend am Metal kratzend. Dabei sind Oaken Heart weder Post-Rock, noch Metal, sondern schaffen sich irgendwo dazwischen ihren eigenen Klangraum. Natürlich lassen sich auch an einigen Stellen einschlägige Referenzen finden, nach denen man aber nicht zwanghaft suchen sollte, da die gekonnt heraufbeschworene Atmosphäre ansonsten spurlos an einem vorbei ziehen könnte. Und das wäre verdammt schade.




Außerdem

The Gauss Experience:

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The Gauss Experience sind keine Neuerscheinung, sollen als kleine Erinnerung hier dennoch zur Ansprache kommen. Ob die Band überhaupt noch aktiv ist, weiß ich nicht, zumal sie sich sowieso nur sehr sparsam und sporadisch auf der Bühne blicken ließ. Ihre letzte Minitour absolvierte sie im November 2011 gemeinsam mit ihren Marburger Kollegen Ashes of Pompeii. 2010 erschien ihr bislang letzter EP-Output "1901", ein Jahr nach ihrem Debüt-Album "Inside It Sleeps and Dreams", beides in Eigenregie veröffentlicht. Insgesamt also eine überschaubare Geschichte, über die man auch leicht Hinwegsehen konnte, sollte man als Hörer nicht tief genug im norddeutschen Untergrund gegraben haben. Eigentlich ziemlich schade, denn das Hamburger Quartett hinterließ mit ihren beiden Releases einen nachhaltigen und durchweg positiven Eindruck, vorausgesetzt natürlich, man nahm damals Kenntnis von ihnen. The Gauss Experience muss man zwangsläufig wohl in die Post-Hardcore-Ecke stecken. Weil das alle tun, die TGE kennen. Weil es die Band selber so will. Und vor allem, weil man das mit härterer Musik nunmal so macht, die sich mit drei Worten nicht beschreiben lässt. TGE sind Songakrobaten und Zauberkünstler zugleich, jonglieren mit herausgerissenen Stilelementen des Emocores, Alternatives, Screamos und Indies und haben letztendlich sogar mehr vor sich zu liegen, als nur die Summe der einzelnen Teile. Wer auf Breakdowns wartet, die den Song mit voller Wucht am Boden zerschmettern, wartet vergebens. Stattdessen rollen sich Atmosphäre und Dringlichkeit wie ein kratztender Teppich aus, Sänger Tim Jaacks singt mit flehender Stimme oder schreit sich die Seele aus dem Leib, ab und zu springt eine Orgel dazwischen. Ohrwürmer wie "Silk On A Tree", "Postmental Metamorph", "Nursery Desert" oder "The Shores..." setzen sich mit Widerhaken im Gehörgang fest, andere wiederum hinterlassen tiefe Narben oder biegen aufgrund ihrer Vertrackheit schon vorher ab. Trotzdem klingt alles homogen und wie für einander geschaffen. Wer also möchte, sollte nicht lange mit sich hadern und beide CD's (Album im schick aufgemachten Triptychon-Digipak, EP in Jewelcase mit wechselbaren Coverartwork) kaufen.

P.S.: Wer Singer/Songwriter-Rock dem Post-Hardcore vorzieht, kann ja mal einen Lauschangriff auf Tim Jaacks Solo-Projekt starten -> HIER.


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